Zirkusaktivitäten – ein starkes pädagogisches Instrument

 

Durch ihre Vielfalt erlauben es die Zirkusaktivitäten dem Kind verschiedene Aspekte seiner Persönlichkeit zu entfalten. Dies sind vor allem die Entwicklung der motorischen Fähigkeiten, der Identitätsaufbau, das Erweitern der Vorstellungskraft und Phantasie und schließlich auch die soziale Entwicklung des Kindes.

 

Wer kennt sie nicht, die Kinder die „b“ und „d“ verwechseln, die im dritten Schuljahr immer noch nicht rechts und links unterscheiden können und denen, wie es scheint, räumliches Denken und rhythmisches Vorgehen einfach nicht gelingen mag. Das Jonglieren stellt die Basis beim Erlernen der Zirkusaktivitäten dar. Durch den Gebrauch der beiden Hände, der linken und der rechten, durch das Verfolgen der Bälle mit beiden Augen, dem linken und dem rechten und durch die ständige Kontrolle des ganzen motorischen Vorganges durch beide Gehirnhälften, der linken und der rechten, wird die Lateralität des  Kindes grundlegend verbessert und gestärkt. Der ganze Körper passt sich dem Rhythmus des Jonglierens an, genau berechnete, präzise Bewegungen sind erforderlich, damit die Jonglage gelingt. Eifer und Disziplin die zum Üben unerlässlich sind, erlernt das Kind so auf spielerische Art und Weise.

 

Wunderbar anzuschauen sind die Artisten auf dem Hochseil. Doch auch die Beherrschung des Rola-Bola, der großen Kugel oder des Übungsseils beeindruckt den Zuschauer zutiefst, weil er den jungen Künstler beim Kampf mit und gegen das Gleichgewicht beobachten kann. Hier ist die Entwicklung des Gleichgewichtsinnes gefordert, die Beherrschung des Körpers im Raum durch gekonnte Gewichtsverteilung von einem Bein auf das andere. Doch auch das Einradfahren fördert die Entwicklung des Gleichgewichtes und damit der Körperbeherrschung. Dabei ist es in unseren Gemeinden keine Seltenheit mehr, dass sich die Kinder in ihrer Freizeit im Schulhof treffen, um zusammen Einrad zu fahren.

 

Doch damit nicht genug, die ganze Körperbeherrschung wird durch der Arbeit am Trapez gefördert und gefordert. Hier ist nicht nur physische Kraft, sondern auch ein Höchstmaß an Konzentration verlangt – neben dem Aufbau des Vertrauens in den oder die Partner.

 

Doch Zirkusaktivitäten gehen noch weit darüber hinaus. Schließlich finden sie immer öfter vor einem Publikum statt und so tragen sie zur gesamten Identitätsentwicklung des Kindes bei. Pantomime, Schauspielerei, Clownerien, Schminken, Kostüme.... sind nur einige Aktivitäten, die zu einer gekonnten Zirkusvorstellung gehören. Hier hat das Kind die Möglichkeit die Rollen zu wechseln, andere Personen, Identitäten, Einstellungen zu testen, die Wirklichkeit im Spiel zu manipulieren, ohne dass das Risiko des Scheiterns allzu bedrohlich wird. Im Spiel, hier im Zirkusspiel in der Manege, ist das Kind ganzheitlich gefordert, kann seinen Körper, seine Intelligenz aber auch seine Gefühle einbringen und sich als Ganzes – kreativ – zum Ausdruck bringen.

 

Andererseits lernt das Kind seinen Körper kennen. Es lernt, wieviel Training, Disziplin und Durchhaltevermögen eine gewisse Übung von ihm verlangt. Es lernt, sich immer wieder selbst zu überwinden, um das gesteckte Ziel doch noch zu erreichen. Jeder, der sich zum ersten Mal in den Sattel eines Einrades schwingt, ist von der Unmöglichkeit dieser Übung augenblicklich überzeugt. Trotzdem lassen sich viele Kinder nicht davon abbringen und erreichen ihr Ziel nach wochen- oder monatelangen Versuchen. Sie lernen ihre Gefühle zuzulassen: die Enttäuschung zu überwinden, die Freude des Erfolges als neuer Ansporn zu nutzen. Sie erlernen die Konzentration als Mittel zum Erfolg zu schätzen.

 

Viele Produktionen fordern zu ihrer Realisierung außerdem noch das Herstellen von Kostümen, Bühnendekoration, Requisiten, die Beschäftigung mit Musik, Choreographie und das Erstellen von Skripten, zeitlichen Abläufen, Programmheften... Auch diese artistischen, kreativen Aktivitäten sind ein wichtiger Bestandteil in der Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes. Des weiteren  erlauben sie eine gewisse Differenzierung innerhalb der Gruppe: auch Kindern, denen die perfekte Jonglage zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelingen will, können ihren Beitrag zur Aufführung leisten.

 

Alle Zirkusaktivitäten stärken, wie wir gesehen haben, die individuellen Ausdrucksmöglichkeiten des Kindes. Doch alle Aktivitäten spielen sich immer im sozialen Rahmen ab. Die Realität der Gruppe ist tonangebend, sie spiegelt die Versuche des einzelnen wieder: jedes Kind kann sich mit der Gruppe vergleichen und messen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen.

 

Die gemeinsame Aufführung - der Applaus für alle - ist oft genug Anlass für die gegenseitige Anerkennung der Leistung aller Mitglieder. Man lobt, man bewundert den anderen. Die kollektive Leistung in der Manege übertrifft in ihrer Wirkung die individuelle Leistung des einzelnen - und fördert so den Willen, weiter zu arbeiten.

 

Leistung macht Spaß, wenn sie freiwillig ist und Erfolge werden gemeinsam erlebt und gefeiert.

Roland Meyer